Der Grundbesitzabgabenbescheid der Gemeinde Hille von 2016 ist aufzuheben, soweit darin Kanalbenutzungsgebühren festgesetzt wurden, so lautet das Urteil des Verwaltungsgerichts Minden vom 7. April 2021 (Aktenzeichen 3 K 4419/16). Dabei wurde u. a. festgestellt, dass der beklagten Gemeinde bei einer größeren Anzahl von Grundstücken die Entwässerungs- und Einleitungsverhältnisse in das öffentliche Kanalnetz unbekannt sind.
Wie kam es zu dem Rechtstreit?
Hintergrund ist die enorme Entwicklung der Niederschlagswassergebühren von 2007 (0,27 Euro pro) bis 2016 (0,57 Euro pro m²). Dieses sorgte von Beginn an für Ärgernis bei vielen Grundstückseigentümern.

Einzelne Bürger versuchten ab 2014 erfolglos durch schriftliche Anfrage sowie im Rahmen einer Einwohnerfragestunde während einer Ratssitzung vom Bürgermeister zu erfahren, aufgrund welcher Grundlagen die Gebühren für die Regenwasserbeseitigung ermittelt werden und wie es zu den extremen Steigerungen gekommen ist.
Der Unmut führte im November 2014 zu einem Zusammenschluss von Bürgern, die die Interessengemeinschaft Niederschlagswasser (IGNW) gegründet haben, um sich für eine gerechte Kostenverteilung einzusetzen und sich gemeinsam bei der Verwaltungsleitung und den Ratsmitgliedern mehr Gehör zu verschaffen. Gespräche von Vertretern der IGNW – auch mit Unterstützung eines Rechtsanwalts – mit der Verwaltungsspitze, selbst ein Schlichtungs-/Meditationsverfahren führten ebenfalls nicht zu einer Einigung. Die nachgefragten Informationen wurden nicht geliefert. Daraufhin legten alle Mitglieder Widerspruch gegen den Bescheid von 2016 (und für alle Folgejahre bis heute) ein.
Unterschied zwischen Niederschlagswassergebühren und Gewässerunterhaltungsgebühren
Grundlage für die Berechnung der Niederschlagswassergebühr ist die Quadratmeterzahl der bebauten bzw. überbauten und/oder befestigten Grundstücksfläche von denen Niederschlagswasser (Regenwasser) leitungsgebunden oder nicht leitungsgebunden abflusswirksam in die gemeindlichen Abwasseranlagen gelangen kann.
Nach den Regelungen des Landeswassergesetzes NRW (LWG) sind die Gemeinden unterhaltspflichtig für die Gewässer 2. Ordnung. Die Unterhaltungsarbeiten übernehmen in der Gemeinde Hille die Wasserverbände Weserniederung und Große Aue. Hierfür sind an die vorgenannten Wasserverbände Verbandsumlagen zu zahlen, die wiederum von der Gemeinde Hille über die Gewässerunterhaltungsgebühren refinanziert werden.
Bislang erfolgte die Verteilung der Kosten für die Gewässerunterhaltung nach Quadratmeter bebauter, unbebauter und Forstfläche. Nunmehr – und zwar rückwirkend ab 2018 - erfolgt die Kostenverteilung mit 90 % auf die versiegelten Flächen und mit 10 % auf die übrigen (nicht versiegelten) Flächen.
Die Kosten für öffentliche Regenrückhaltebecken und Staukanäle werden im Wesentlichen aus nur auf diese Haushalte (ca. 55 %) umgelegt.
Ein einzelnes IGNW-Mitglied reichte nach Abweisung des Widerspruchs im September 2016 stellvertretend für alle beim Verwaltungsgericht Minden Klage ein. Dabei wurde bekannt, dass in der Kommune von 5.163 nur 2.863 der Grundstückseigentümer für die Niederschlagswassergebühr herangezogen werden. Die Kosten für öffentliche Regenrückhaltebecken (Beispiel Regenrückhaltebecken an der Erdbrügge in Unterlübbe – siehe Fotos) und Staukanäle werden im Wesentlichen aus nur auf diese Haushalte (ca. 55 %) umgelegt.

Seit der Klage keine Gebühren-Erhöhung!
Interessant ist, dass die Gebühren seit 2016 nicht erhöht wurden (siehe obige Tabelle).
Enttäuscht zeigen sich die Mitglieder der Interessengemeinschaft darüber, dass die Gemeinde während des langjährigen Prozesses bekannte und ergebnisrelevante Fehler bei der Gebührenkalkulation nicht korrigiert hat bzw. nicht korrigieren will und statt dessen Berufung beim Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster eingelegt hat.
Wird es in Zukunft eine gerechte Kostenverteilung geben?
Es kann wieder einige Monate dauern, bis das OVG über die Zulässigkeit der Berufung entscheidet.
Die Vertreter der IGNW sind positiv gestimmt, dass das bisherige Urteil Bestand haben wird, somit die Gebührenkalkulationen mindestens seit 2016 rechtswidrig sind und neu beschieden werden müssen. Sie weisen außerdem darauf hin, dass alle Grundstückseigentümer, die nicht in das öffentliche Kanalnetz einleiten und keine Niederschlagswassergebühr zahlen, im Umkehrschluss eine wasserrechtliche Genehmigung benötigen.
Quelle: Pressemitteilung vom 18. August 2021 Interessengemeinschaft Niederschlagswasser
Fotos: Regenrückhaltebecken in Unterlübbe/privat
Was sagen unsere Lokal-Politiker zum Thema?
Wir vom Hiller Anzeiger wollten wissen, wie die Mitglieder des aktuellen Hiller Rates über die Thematik denken und haben nachfolgende Fragen gestellt:
a) Welche Maßnahmen werden Sie bzw. Ihre Partei aus diesen Informationen und dem Urteil ableiten?
b) Werden zukünftig auch Grundstückseigentümer zahlen müssen, die bisher nicht zu einer Gebühr herangezogen wurden?
c) Wie werden sich dann voraussichtlich die Kosten entwickeln?
d) Sind bestimmte Problematiken bekannt, die auftreten könnten?
e) Müssen Grundstückseigentümer, die bislang nicht bezahlt haben, mit Forderungen aus der Vergangenheit rechnen?
f) Welche Maßnahmen haben Sie bzw. Ihre Partei seit 2014 unternommen, um die Problematik zu klären?
Bürgermeister Michael Schweiß haben wir aufrund des laufenden Gerichtsverfahrens nicht befragt. Bis zum Redaktionsschluss haben wir Rückmeldungen von der CDU, SPD und den Grünen erhalten:
Rückmeldung von der Hiller CDU:
Das es im Zusammenhang mit der Kalkulation und Erhebung der Niederschlagswassergebühren zu Ungleichbehandlungen gekommen ist, ist uns durch das Engagement der Interessengemeinschaft Niederschlagswasser bekannt. Das Gerichtsurteil vom 7. April 2021 hat dies bestätigt.
Die volle Tragweite des Urteils kann nur mit Hilfe eines Juristen und/oder ausgewiesenen Experten im Gebührenrecht voll umfänglich erfasst werden. In diesem Zusammenhang hatte ich die Mitglieder des Betriebsausschusses, die Fraktionsvorsitzenden und die Verwaltung am 23. Juni 2021 zu einem Gespräch eingeladen. Dazu kam ein externer Berater mit mehr als 30 Jahren Erfahrung im kommunalen Sektor, insbesondere im Gebührenrecht, den ich auf eigene Kosten organisiert hatte. Die Resonanz von Seiten der Politik war gut, auch wenn nicht alle gebetenen Gäste anwesend waren.
Der Bürgermeister hatte die Teilnahme der Verwaltung dankend abgelehnt und selbst kurzfristig (nach der Einladung) zu einem informellen Treffen für den 24. Juni 2021 eingeladen. Bei diesem Treffen wurde der Politik mitgeteilt, dass der Bürgermeister aufgrund des geringen Streitwerts im Gerichtsverfahren bereits Berufung gegen das Urteil eingelegt hatte.
Die potenziellen Konsequenzen aus dem Urteil sind weitreichend und können im ungünstigsten Fall leicht in die Millionen gehen. Das Urteil hat bestätigt, dass es bei der Erhebung der Niederschlagswassergebühren zu Ungleichbehandlungen gekommen ist. Dies muss korrigiert werden, so dass die Kosten der Niederschlagswasserbeseitigung auf alle Grundstückseigentümer, die nicht über eine entsprechende Befreiung (Wasserrechtliche Erlaubnis) verfügen, verteilt werden.
Sicherlich wird die Neuverteilung dazu führen, dass auch Grundstückseigentümer, die bisher nicht an den Kosten beteiligt wurden, die Niederschlagswassergebühren zahlen müssen. Ziel ist und bleibt eine gerechte Verteilung für alle Grundstückseigentümer. Mit einer deutlichen Steigerung der Gesamtkosten der Niederschlagswasserbeseitigung rechnen wir jedoch nicht. Lediglich die Verteilung wird sich verändern.
Die Aufarbeitung des Gerichtsurteils und der Ungleichbehandlung der vergangenen Jahre ist mit mehreren praktischen sowie juristischen und gebührenrechtlichen Problemen behaftet. Wie die Lösungsstrategie aussehen wird hängt unter anderem vom Urteil des Berufungsverfahrens ab. Daher kann die Frage, ob auf Grundstückseigentümer Forderungen aus der Vergangenheit zukommen, zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantwortet werden.
Entscheidend hierfür wird neben dem Urteil des Berufungsverfahrens auch die von der Verwaltung gewählte Lösungsstrategie zur Beseitigung der Ungleichbehandlung sein. Vor dem Rechtsstreit gab es ein Mediationsverfahren an dem seinerzeit alle Ratsfraktionen beteiligt waren. Dies konnte jedoch nicht zur Klärung des Problems beitragen.
Seit Erhebung der Klage im September 2016 wurde das Verfahren nicht wesentlich im Rat behandelt, da die Abwicklung der Klage in die Zuständigkeit der Verwaltung fällt. Mit dem sich abzeichnenden Urteil des Amtsgerichts Minden, beziehungsweise mit dem Urteil vom 7. April 2021, ist die Angelegenheit wieder mehr in den politischen Fokus gerückt.
Rückmeldung von der Hiller SPD:
Zu a: es sollen alle Bürger*innen gerecht behandelt werden.
Zu b: Das wird auch für die Zukunft und die Vergangenheit berechnet.
Zu c: Das obliegt dem Betriebs- und Haupt-und Finanzausschussausschuss. Die Gebühren werden jährlich vom HFA und Rat überprüft und in der Satzung festgelegt.
Zu d: nein
Zu f: es gab ein Mediationsverfahren vom Bürgermeister, an dem die Politik nicht beteiligt wurde.
Rückmeldung von Bündnis 90 / Die Grünen im Rat der Gemeinde Hille:
a) Generell ist zu sagen, dass wir uns für Gebührengerechtigkeit einsetzen. D.h., wer sein Abwasser (Regen- oder Schmutzwasser) von der Gemeinde entsorgen und/oder klären lässt, hat dafür auch Gebühren zu bezahlen. Daraus ergibt sich, dass Haushalte, die ihr Niederschlagswasser auf dem eigenen Grundstück versickern und somit auch keine Kosten für die Gemeinde verursachen, dafür auch keine Gebühren zu bezahlen haben. Für die Einleitung von Niederschlagswasser oder geklärten Abwässern in Wegeseitengräben bzw. verrohrten Wegeseitengräben sollte eine gesonderte Gebühr erhoben werden, da auch diese Art der Entsorgung von der Gemeinde unterhalten werden muss.
b) Das kommt darauf an, ob sie die Anschlüsse und die Klärung er Gemeinde in Anspruch nehmen.
c) Muss die Gemeinde die bisher nicht im Eigentum der Gemeinde stehenden Kanäle übernehmen und warten, wird das zu Gebührenerhöhungen für alle Nutzer führen.
d) Die Kosten für die Übernahme der vorhandenen Bürgermeisterkanäle, eine eventuelle Sanierung oder die Durchsetzung des Anschluss- und Benutzungszwang führen automatisch zu Mehrausgaben bei der Gemeinde. Da diese Kosten immer auf die Bürgerinnen und Bürger umgelegt werden, führt dies auch zu Gebührenerhöhungen für alle.
e) Unserer Meinung nach kommt es darauf an, ob die Bescheide zu dem Zeitpunkt rechtskräftig waren. Nachträglich wird es keine Änderung geben, es sei denn die betroffenen Bürgerinnen und Bürger hätten einen Widerspruch zu ihrem Bescheid eingelegt.
f) Da uns die Problematik bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht im Detail bekannt war, haben wir bisher zur Klärung nichts weiter unternommen.